Kolumnen

Warten auf den Ruck

Der Abschlussbericht der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ ist eine weitere verpasste Chance, von Dr. Thomas Herr

Frankfurt am Main, 01.09.2025
Dr. Thomas Herr


Eines der großen Versprechen der neuen Bundesregierung, die kürzlich anlässlich der ersten hundert Tage im Amt eine Zwischenbilanz vorlegte, ist die Modernisierung des Staates. Ein neues Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung wurde eigens dafür gegründet. Die Blaupause für dessen Tätigkeit hat die hochkarätige „Initiative für einen handlungsfähigen Staat” unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten als Abschlussbericht mit 35 Empfehlungen im Juli 2025 vorgelegt.

Der zunehmend dysfunktional wahrgenommene Staat, die Bürokratie und das Vorschriften- und Normendickicht werden nicht nur in der Bau- und Immobilienwirtschaft als größte Hemmnisse der Wirtschaftsentwicklung, branchenkonkret der Beschleunigung und Kostenreduzierung des Bauens und der Lösung der Wohnungsfrage betrachtet. Nach Ermittlung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes von Anfang 2024 hat sich die Zahl der Bauvorschriften in den letzten Jahren auf 20.000 vervierfacht. Genügend Ansatzpunkte also, von einem schlankeren Staat zu profitieren und nach fast 30 Jahren den Herzog´schen „Ruck“ zu erleben, den die Initiative zu erzeugen versprach. Doch die hohen Erwartungen werden enttäuscht.

Von den Empfehlungen ist etwa ein Drittel für die Immobilienwirtschaft besonders relevant, die Handlungsfelder können zusammengefasste werden:

  • Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung
  • Einheitliche digitale Plattformen für Behördenkommunikation
  • Einführung von Ausnahme- und Experimentierklauseln
  • Modellkommunen und -regionen
  • Harmonisierung und Vereinfachung von Förderprogrammen
  • Klarere Aufgabenteilung von Bund, Ländern und Kommunen
  • Reduzierung von Berichtspflichten und Dokumentationslast
  • Vereinfachung staatlicher Investitionen

So weit so bekannt. Es finden sich kaum neue Ideen, kein mutiger Vorschlag. Und daher ist das geringe Echo auf die Veröffentlichung nachvollziehbar.

„Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung“ – wer hat diesen Satz noch nicht gehört? Seit Jahrzehnten schallt er aus Ministerien, Verbänden und Parteitagen. Doch statt klarer Vorgaben wie verbindlicher Fristen mit Rechtsfolgen oder zentraler Genehmigungsinstanzen, schlägt der Bericht wieder „Praxistests“, „Visualisierung von Prozessabläufen“ und „Experimentierklauseln“ vor. Das klingt modern, ist aber im Kern der alte Reflex: Wir probieren, wir modellieren, wir beruhigen – aber wir handeln nicht.

Dabei ist gerade für den akuten Bedarf bei Wohnungsbau und Infrastruktur Klarheit gefragt: Wer entscheidet? In welchem Zeitraum? Mit welcher Konsequenz, wenn die Verwaltung nicht liefert? Darauf gibt es keine Antwort.

Eines der wenigen konkreten im Bericht genannten Ziele ist die Reduzierung des sogenannten Erfüllungsaufwands – also des Zeit- und Kostenaufwands für Bürokratie – um zehn Milliarden Euro. Eine große Zahl, die in Pressemeldungen Eindruck macht. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Sie verpufft. Denn nach Berechnungen des Normenkontrollrats belastet die Bürokratie Wirtschaft und Verwaltung jährlich mit rund 65 Milliarden Euro, das ifo-Institut veranschlagt die Zahl sogar auf bis zu 146 Milliarden. Zehn Milliarden Einsparung sind da kaum mehr als ein symbolischer Tropfen auf dem heißen Stein. Wer so klein denkt, darf sich nicht wundern, wenn Unternehmen und Bürger den großen Aufbruch nicht ernst nehmen.

Besonders auffällig ist der fehlende Mut im Bericht große Lösungen vorzuschlagen. Solange Deutschland 16 Bauordnungen, 16 Denkmalschutzgesetze und zahllose kommunale Ausführungsbestimmungen pflegt, bleiben Harmonisierung und Geschwindigkeit Illusion. Statt einer grundlegenden Reform des in vielen Bereichen lähmenden und anachronistischen föderalen Systems schlägt der Bericht Abweichungsrechte für Kommunen und Reallabore vor – also noch mehr Vielfalt. Das mag modern klingen, verschärft aber die Zersplitterung.

Der Mut zu einer einheitlichen Bauordnung, einer zentralen „digital first“ Genehmigungsbehörde oder einem verbindlichen „Deutschland-Planungsbeschleunigungsgesetz“ hätte einen Ruck auslösen können. Stattdessen bleibt man beim vertrauten Klein-Klein, das vor allem eines garantiert: Stillstand.

Ja, der Bericht fordert – wie zeitgeistig nicht anders zu erwarten – digitale Prozesse, zentrale Plattformen und Ende-zu-Ende-Lösungen. Das Problem: Diese Forderungen stehen seit Jahren in jedem Koalitionsvertrag. Das Beispiel Onlinezugangsgesetz zeigt: Bis Ende 2022 sollten alle Verwaltungsleistungen digital sein – umgesetzt wurde kaum etwas. Laut Deutschland-Index der Digitalisierung sind 2025 je nach Quelle (ÖFIT, INSW/IW) im Mittel erst 35- 39 % der Leistungen verfügbar. Doch aus diesem Ist-Zustand werden keine Konsequenzen gezogen. Statt digitalem Durchgriff gibt es erneut nur Experimente und freiwillige Lösungen. Während Estland längst bei 100 % digitaler Verwaltungsabwicklung angekommen ist, entwirft Deutschland weiter Schaubilder zu „plattformintegrierten Verwaltungslösungen“.

Positiv ist immerhin der Gedanke, der Staat müsse sich stärker als strategischer Auftraggeber und Investor verstehen. Das könnte Türen für echte Partnerschaften zwischen öffentlicher Hand und Immobilienwirtschaft öffnen. Aber solange die Rahmenbedingungen aus Bürokratie und Zuständigkeitswirrwarr nicht verändert werden, bleibt das ein leeres Versprechen.

Die Initiatoren – Julia Jäkel, Thomas de Maizière, Peer Steinbrück, Andreas Voßkuhle – haben klangvolle Namen. Sie verleihen dem Bericht Seriosität und überparteiliche Autorität. Doch genau hier liegt die Gefahr: Weil diese Kommission so prominent besetzt ist, könnte das Papier als Reformagenda missverstanden werden. In Wahrheit markiert es eher das Minimum dessen, was im politischen Berlin konsensfähig ist: etwas weniger Bürokratie, etwas mehr digitale Tools, ein paar Modellprojekte. Hier waren keine Revolutionäre am Werk, sondern desillusionierte Polithandwerker.

Was fehlt, ist Entschlossenheit. Was fehlt, ist Mut. Was fehlt, ist die Erkenntnis, dass Bau- und Investitionsvorhaben nicht an zu wenig „Praxistests“, sondern an zu vielen Vorschriften, Zuständigkeiten und Bremsern scheitern.

Anstelle dieses Berichtes bräuchte Deutschland aus Sicht unserer Branche einen echten Modernisierungsfahrplan mit drei klaren Achsen:

1. Zentralisierung: eine einheitliche Bauordnung, eine zentrale Genehmigungsinstanz für große Projekte, einfacheren Zugang zu Fördermitteln, weniger Mischfinanzierungen, weniger, aber verlässliche Programme.
2. Fristen mit Folgen: Wenn eine Genehmigungsbehörde nicht fristgerecht entscheidet, gilt der Antrag als genehmigt. Punkt.
3. Digitalisierung mit Durchgriff: Ein bundesweites digitales One-Stop-Portal, verpflichtend für alle Länder und Kommunen, nicht optional.

Fazit: Die Defizite sind treffend beschrieben, die Aufbruchsrhetorik ist klangvoll. Doch ohne verbindliche Fristen und klare Zuständigkeiten bleibt alles folgenlos. Wer von einem „handlungsfähigen Staat“ spricht, darf nicht bei Reallaboren stehen bleiben, sondern muss Machtfragen beantworten: Wer entscheidet? Mit welchem Recht? In welchem Zeitraum? Der Ruck lässt weiter auf sich warten.