Kolumnen

Zwei Krisen und eine Systemfrage

Plan statt Markt? Chinas Immobilienkrise als Warnung

03.11.2025
Dr. Thomas Herr

Vor wenigen Wochen auf einer Geschäftsreise durch China: Entlang der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Shenzhen und Shanghai reiht sich Beton an Beton. In der Herzkammer des chinesischen Wirtschaftswunders kommt man vorbei an leeren Siedlungen, halbfertigen Hochhäusern und scheinbar wahllos in die Landschaft gesetzten Brückenstützen abgebrochener Infrastrukturprojekte. Was aus dem Zugfenster zunächst aussieht wie ein Bauboom, ist bei näherer Betrachtung das Ergebnis einer jahrzehntelangen Fehlsteuerung: der Versuch, durch Bau- und Infrastrukturinvestitionen am Bedarf vorbei Wachstum zu erzeugen.

Neuntausend Kilometer weiter westlich, in Deutschland, zeigt sich das Gegenbild: Hier fehlen in den Metropolen die Wohnungen, die in China leer stehen oder nicht mehr fertiggestellt werden. Auch die deutsche Wohnungswirtschaft steckt in einer Krise – aber in einer völlig anderen: einer Krise der Unterproduktion. Zwei Krisen, die gegensätzlicher kaum sein könnten, und doch eine gemeinsame Frage aufwerfen: Wie viel Markt, wie viel Staat verträgt der Wohnungsbau?

Wachstum um jeden Preis

China erlebt den Tiefpunkt einer dirigistisch befeuerten Immobilienblase. Der Staat hat durch Planvorgaben, Finanzierungen und kreditpolitische Anreize eine gigantische Fehlallokation ausgelöst. Lokale Regierungen erzielten ihre Einnahmen aus dem Verkauf von Landnutzungsrechten, Staatsbanken stellten billiges Geld bereit, und Baufirmen errichteten Wohnungen und ganze Städte, die niemand brauchte. Seit 2021 ist dieser Mechanismus kollabiert. Viele Projektentwickler stehen am Rand der Insolvenz oder wurden bereits zwangsliquidiert wie Evergrande, Käufer bleiben aus, die Preise sinken. Ende 2024 standen 391 Millionen Quadratmeter unverkaufter Wohnraum leer – 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der neuen Baustarts fiel um 23 Prozent. Laut einer Savills Studie von Juli 2025 verringerte sich der Wert der chinesischen Wohnimmobilien zwischen Ende 2023 und Ende 2024 um 5,2 Prozent in lokaler Währung. Weil China mehr als ein Viertel des weltweiten Wohnimmobilienwertes ausmacht, drückte dieser Einbruch den Wert der globalen Wohnungsbestände um 2,7 Prozent auf 286,9 Billionen US-Dollar. Ohne China wäre die Weltstatistik positiv. Chinas Krise ist damit keine nationale Schieflage mehr, sondern eine globale Belastung – ökonomisch, ökologisch und gesellschaftlich. Die Folgen sind sichtbar: Milliardeninvestitionen in Beton, Stahl und Energie liegen ungenutzt brach, Werte wurden vernichtet, die Zukunft ganzer Städte ist ungewiss geworden.

Reguliert bis zum Stillstand

In Deutschland dagegen herrscht kein Überangebot, sondern ein struktureller Mangel. Nach dem Inflationsschub und dem folgenden Zinsanstieg 2022 brach die Neubautätigkeit ein, weil sich Projekte nicht mehr rechnen. Die Zahl der Baugenehmigungen fiel 2023 um 27 Prozent, die Fertigstellungen stagnierten. 2024 zeigte sich die Wende: Im vierten Quartal stieg der vdp-Preisindex erstmals wieder leicht. 2025 ist die Erholung messbar: Laut Destatis stiegen die Wohnimmobilienpreise im ersten Quartal um 3,8 Prozent, im zweiten um 3,2 Prozent. Baupreise legten im August 2025 nur noch um 3,1 Prozent zu – ein Zeichen für Stabilisierung. Die Krise hat sich ohne umfassende staatliche Rettungspakete beruhigt – einzelne Förderprogramme und steuerliche Anreize konnten den Markt nur begrenzt stützen. Es zeigt sich: Nicht der Staat hat den Wohnungsmarkt stabilisiert, sondern die Selbstkorrektur marktwirtschaftlicher Mechanismen. Doch die Neubaudynamik bleibt schwach.

„Leerstand“ bedeutet in Deutschland etwas anderes als in China. Hier stehen nicht neu errichtete Häuser leer, sondern alte Bestände in schrumpfenden Regionen. Das BBSR schätzt rund 1,9 Millionen ungenutzte Wohnungen, vor allem in Ostdeutschland. In den Ballungsräumen dagegen liegt die Leerstandsquote meist unter einem Prozent – dort fehlt, was anderswo im Überfluss steht. Deutschlands Markt reagiert auf Zinsen und Nachfrage, wird aber durch fehlendes Bauland in den nachfragestarken Zentren, hohe Baukosten, Bürokratie, Normen und Steuern gebremst. Wir erleben im Wohnungsbau eine Krise des Stillstands, nicht der Überproduktion.

Systeme im Stresstest

Chinas Problem ist das Ergebnis ideologischen Dirigismus – ein System, das Wachstum verordnet und Fehlanreize belohnt. Deutschlands Problem ist das eines zunehmenden bürokratischen Paternalismus – ein Staat, der selbst nicht bauen kann, aber alles regulieren und jeden absichern und versorgen will. In China stehen Milliardeninvestitionen in Beton, Stahl und Energie ungenutzt herum. In Deutschland fehlen Wohnungen und Investitionsimpulse. Das eine ist ökonomisch, ökologisch und sozial verheerend; das andere gefährdet Zukunft, Wohlstand und Vertrauen in den Staat.

Doch ein Unterschied ist entscheidend: Ein marktwirtschaftlich verfasster, aber bürokratisch verkrusteter Staat kann sich reformieren – eine ideologiegetriebene Planwirtschaft ist nicht reformierbar, wie wir hierzulande in einem großen 40-jährigen Realexperiment gelernt haben. Deutschlands Problem ist – bei aller Frustration – das kleinere Übel, weil das Problem nicht im System liegt, sondern in der Umsetzung. Der Markt kann schneller reagieren, exzessive Preise korrigieren, Kapital dort allokieren, wo es effizient eingesetzt wird. Er braucht dafür nur einen funktionierenden Staat als verlässlichen Partner.

Zwei Länder, zwei Krisen – und eine Systemfrage. In China türmt sich der Überbau der Planwirtschaft, in Deutschland stöhnt der Markt unter zu vielen Vorschriften. Beide Systeme stoßen an ihre Grenzen, aber nur eines kann sich selbst reparieren. Deutschland braucht keine Planvorgaben, Markteingriffe und Enteignungsgesetze, sondern Planungssicherheit: schnellere Verfahren, verlässliche Förderung, weniger Normen. Dann wird wieder gebaut – nicht auf Anweisung, sondern aus Überzeugung und wirtschaftlichem Interesse.

Die Bilder aus der dynamischen Küstenregion Chinas – unfertige Rohbauten, Brückenpfeiler ins Nirgendwo, Fassaden ohne Bewohner – sind eine Mahnung. Der deutsche Weg sollte nicht weiter in Richtung Plan, sondern zurück in Richtung funktionierender Markt führen. Die Lektion aus den beiden unterschiedlichen Krisen lautet: Wohlstand entsteht, wo der Staat sich auf die Rahmensetzung konzentriert – und den Markt die Arbeit machen lässt.

Wie stehen die Chancen dafür?


Auf der EXPO REAL 2025 in München zeigte sich, wie eng wirtschaftliche Notwendigkeit und politische Rhetorik beieinanderliegen – und wie groß der Graben dazwischen bleibt.  Bundesbauministerin Verena Hubertz bemühte sich um Optimismus: „Wir müssen Bauen wieder ins Zentrum rücken. Alle sind sich auch einig, egal auf welcher Ebene man mit Menschen spricht, ob mit dem Bürgermeister oder der jungen Familie: Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum.“ sagte sie.  Doch viele in der Branche hörten vor allem heraus, was fehlte: konkrete Zusagen zu Bürokratieabbau, steuerlicher Entlastung und schnelleren Verfahren. Allerdings kann der Bund allein in unserem föderalen System auch nichts ausrichten.

Zwischen den Ständen dominierte eine realistische Gelassenheit: Es wird weitere Einschläge geben, aber natürlich nicht beim jeweiligen Gesprächspartner, der Markt hat sich angepasst, die Preise stabilisieren sich, Kapital steht bereit – doch niemand glaubt mehr an schnelle Lösungen und politische Handlungsfähigkeit. In Gesprächen war immer wieder zu hören: vereinfachte und verlässliche Rahmenbedingungen, die der Langfristigkeit immobilienwirtschaftlicher Entwicklungsprozesse Rechnung tragen, sind der Schlüssel. Planungssicherheit statt Planwirtschaft.